Soziale Teilhabe im Alter: Die Auswirkungen von sozialer und freizeitbezogener Aktivität auf kognitive Prozesse
Wir kennen es alle – man scrollt durch soziale Medien und sieht ein Video von einer älteren Person, die allein im Park sitzt, alleine im Restaurant isst oder allein Besorgungen macht. Wir empfinden Mitleid. Doch was wir oft nicht erkennen: Die Person nimmt aktiv am gesellschaftlichen Leben teil, sei es durch soziale oder freizeitbezogene Aktivitäten. Im Rahmen meines Doktorprojekts im Studium der Ergotherapie habe ich untersucht, wie sich soziale Teilhabe bei älteren Erwachsenen auf ihre Freizeitgestaltung und berufliche Betätigung auswirkt. Besonders in Zeiten wie der COVID-19-Pandemie litten viele ältere Menschen nicht nur körperlich, sondern auch psychisch – durch Einsamkeit und soziale Isolation.
Seit meinem Berufseinstieg als Ergotherapeutin habe ich aus erster Hand erlebt, wie wichtig soziale Teilhabe für die kognitive Verarbeitung ist. Ich habe Patient:innen erlebt, die bereits nach drei bis fünf Tagen in Isolation deutliche Einbußen in ihrer Orientierung und kognitiven Leistungsfähigkeit zeigten.
Im Folgenden möchte ich näher auf die Vorteile eingehen, die soziale Teilhabe bei der Förderung kognitiver Prozesse in dieser Bevölkerungsgruppe bieten kann.
Soziale Teilhabe in einer Gruppe
Fehlende soziale Interaktion kann dazu führen, dass ältere Menschen keine anspruchsvollen Tätigkeiten mehr ausführen – das hat laut Volkmer (2022) direkte Auswirkungen auf ihre Gesundheit. Im Occupational Therapy Practice Framework (OTPF) gelten soziale Teilhabe und Freizeitgestaltung als anerkannte Betätigungsfelder. Als Ergotherapeut:innen ist es unsere Aufgabe, Wege zu identifizieren, wie unsere Klient:innen wieder Zugang zu diesen Aktivitäten finden können. Die soziale Teilhabe in einer Gruppe bietet älteren Erwachsenen zahlreiche Vorteile und verbessert ihr allgemeines Wohlbefinden. Die Teilnahme an Gruppenaktivitäten kann das Zugehörigkeitsgefühl fördern und das Gefühl der Einsamkeit und Isolation reduzieren. Es bietet Möglichkeiten für eine sinnvolle soziale Interaktion, die zur Aufrechterhaltung der kognitiven Funktion und der emotionalen Gesundheit beitragen kann (Smallfield & Molitor, 2018). Gruppenaktivitäten fördern auch körperliche Aktivität, Kreativität und kontinuierliches Lernen durch gemeinsame Hobbys, Diskussionen oder ehrenamtliche Bemühungen. Darüber hinaus kann die Zugehörigkeit zu einer unterstützenden Gemeinschaft ein Gefühl der Zielstrebigkeit vermitteln und zu einem erfüllteren und aktiveren Lebensstil im Alter beitragen.
Soziale Teilhabe durch Freizeitengagement
Laut CDC (2021) war soziale Isolation mit einem um 50% erhöhten Risiko für Demenz und andere schwerwiegende Erkrankungen verbunden. Während andere Gesundheitsprobleme wie Herzkrankheiten, Schlaganfall, Depressionen und Angstzustände aufgeführt werden, stehen Demenzrisiken an erster Stelle, wenn man als älterer Erwachsener sozial isoliert ist. Freizeitgestaltung, wie sie im OTPF aufgeführt ist, wird als die Aufrechterhaltung eines Gleichgewichts zwischen Freizeitaktivitäten und anderen Tätigkeiten beschrieben (2020). Als Ergotherapeutin, die mit älteren Erwachsenen arbeitet, beschäftige ich mich nicht nur mit Aktivitäten des täglichen Lebens (ADLs), in denen die Person möglicherweise Anpassungen und Unterstützung benötigt, sondern auch mit ihren Interessen. Was macht diese Person aus? Und wie können wir sie darin unterstützen, wieder an z.B. Hobbies teilhaben zu lassen?
Je nach Umgebung der Person lässt sich unter Umständen eine verstärkte Einbindung in freizeitbezogene Aktivitäten ermöglichen. „[…] obwohl Dauer und Inhalte der Programme unterschiedlich waren, gibt es starke Evidenz für den Einsatz von Freizeitprogrammen im Rahmen ergotherapeutischer Interventionen zur Förderung der Teilnahme an Freizeitaktivitäten bei älteren Menschen, die in der Gemeinde leben“ (Smallfield & Molitor, 2018).
Ein Beispiel aus meiner Praxis:
Ich arbeitete mit einer Bewohnerin eines betreuten Wohnens, die anfangs auf der eigenständigen Etage lebte. Zu dieser Zeit war sie sehr aktiv – sie nahm regelmäßig an hausinternen Angeboten teil, aß gemeinsam mit Freundinnen und Freunden und unternahm Ausflüge. Im Verlauf meiner Arbeit mit ihr wurde sie jedoch aufgrund kognitiver Verschlechterung in den Memory-Care-Bereich verlegt. Dieser Umzug hatte leider negative Auswirkungen auf ihre Teilhabe und ihr Wohlbefinden: Sie zog sich zunehmend zurück, verbrachte den Großteil des Tages allein in ihrem Zimmer und verließ es lediglich zu den Mahlzeiten. Als zuständige Ergotherapeutin klärte ich sowohl die Familie als auch das Betreuungsteam über die Bedeutung von sozialer und freizeitbezogener Teilhabe auf. Ich betonte, wie wichtig es ist, weiterhin an täglichen Angeboten, Gruppenausflügen und gemeinschaftlichen Aktivitäten im Haus teilzunehmen. Das Ergebnis: Die Bewohnerin begann, wieder Kontakt zu vertrauten Mitbewohnerinnen und Mitbewohnern aufzunehmen, und zeigte über den Tag hinweg eine verbesserte Aufmerksamkeit. Dieser Wandel wirkte sich positiv auf ihr emotionales und kognitives Befinden aus.
Soziale Teilhabe und kognitive Verarbeitung
Soziale Teilhabe spielt eine entscheidende Rolle bei der Unterstützung der kognitiven Funktionen und der Förderung eines erfolgreichen Alterns und ist daher ein Schwerpunkt ergotherapeutischer Interventionen in der Geriatrie (Bourassa et al., 2015).
Für ältere Erwachsene und Personen mit kognitivem Verfall bietet die Teilnahme an sinnvollen sozialen Aktivitäten die Möglichkeit, Aufmerksamkeit, Gedächtnis und exekutive Funktionen in realen Kontexten zu stimulieren. Ergotherapeut:innen nutzen diese gruppenbasierten und zwischenmenschlichen Interaktionen, um Kommunikation, Problemlösung und adaptives Denken zu fördern — Fähigkeiten, die für die Aufrechterhaltung und Verbesserung der kognitiven Leistungsfähigkeit unerlässlich sind. Untersuchungen zeigen, dass soziale Teilhabe nicht nur Veränderungen der kognitiven Funktion im Laufe der Zeit vorhersagt, sondern auch als Schutzfaktor gegen kognitiven Verfall dient (Bourassa et al., 2015). Indem sie soziales Engagement in Therapiepläne einbeziehen, unterstützen Ergotherapeut:innen sowohl die kognitive Gesundheit als auch das emotionale Wohlbefinden und stärken das Gefühl von Zielstrebigkeit, Identität und Gemeinschaft. Darüber hinaus wurde kognitives und soziales Engagement mit mehreren kognitiven Bereichen in Verbindung gebracht und ist ein wertvoller Indikator für den Funktionsrückgang im Zusammenhang mit dem Altern und dem Fortschreiten der Demenz (Liebzeit et al., 2022). Dies unterstreicht die Bedeutung der sozialen Teilhabe als wirksames Instrument in der ergotherapeutischen Praxis.
Integration sozialer Teilhabe in die Praxis
Als Ergotherapeut:innen verfolgen wir einen ganzheitlichen Pflegeansatz, der die körperlichen, kognitiven, emotionalen und psychischen Gesundheitsbedürfnisse von Menschen während ihrer gesamten Lebensspanne berücksichtigt. Soziale Teilhabe kann zahlreiche verschiedene Interventionen umfassen, die auf die Interessen und Präferenzen jedes Einzelnen zugeschnitten sind. Bei der Bewertung können wir Fragen zu Aktivitäten und Hobbys stellen, die sie genießen, wie oft sie Zeit außerhalb ihres Hauses verbringen, wie sie normalerweise ihre Wochen verbringen und an welchen Aktivitäten sie teilnehmen möchten, wenn sie die Gelegenheit dazu hätten (Papageorgiou et al., 2016). Wir können potenzielle Hindernisse für diese Hobbys identifizieren, Änderungen empfehlen, um aktuelle Freizeitaktivitäten zu unterstützen, oder sogar neue Aktivitäten einführen, die ihren Interessen entsprechen. Durch Interventionen können wir ältere Erwachsene in Gedächtnis-, Sequenzierungs-, Matching-, Aufmerksamkeits-, Problemlösungs- und Exekutivfunktionen einbeziehen, um die kognitive Verarbeitung herauszufordern. Es ist wichtig, dass wir uns auch weiterhin dafür einsetzen, dass ältere Erwachsene sich an den Aktivitäten beteiligen, die ihnen Spaß machen, und dabei erkennen, dass jede Person, der wir einmal begegnet sind, ein Leben voller einzigartiger Fähigkeiten, Interessen und Leidenschaften geführt hat.
Über die Autorin
Ashley Denny ist Ergotherapeutin in der Geriatrie für FOX Rehabilitation. Sie studierte an der Chatham University und promovierte 2023 im Bereich Ergotherapie. Sie erhielt ihre First Response Low Vision Zertifizierung von der Pennsylvania Occupational Therapy Association (POTA) und ihren Low Vision Micro-Credential von der American Occupational Therapy Association (AOTA). Sie arbeitet auch als Content-Creatorin für die Social Media Kanäle von FOX Rehabilitation und erstellt Inhalte für Fachkräfte in den USA zu Themen wie Sehbehinderungen und Demenz, Arthritis, Schlaganfallrehabilitation und Sicherheit älterer Erwachsener zu Hause.
Quellen
Bourassa, K. J., Memel, M., Woolverton, C., & Sbarra, D. A. (2015). Social participation predicts cognitive functioning in aging adults over time: comparisons with physical health, depression, and physical activity. Aging & Mental Health, 21(2), 133–146. https://doi.org/10.1080/13607863.2015.1081152
Centers for Disease Control. (2021, April 29). Loneliness and social isolation linked to serious health conditions. https://www.cdc.gov/aging/publications/features/lonely-older-adults.html
Liebzeit, D., Kuo, W. C., Carlson, B., Mueller, K., Koscik, R. L., Smith, M., Johnson, S., & Bratzke, L. (2022). Relationship of Cognitive and Social Engagement to Health and
Psychological Outcomes in Community-Dwelling Older Adults. Nursing research, 71(4), 295–302. https://doi.org/10.1097/NNR.0000000000000589
Pagageorgiou, N., Marquis, R., & Dare, J. (2016). Identifying the enablers and barriers to community participation amongst older adults. British Journal of Occupational Therapy, 79(12), 724-751. DOI: 10.1177/0308022616656195
Smallfield, S., & Molitor, W. L. (2018). Occupational therapy interventions supporting social participation and leisure engagement for community-dwelling older adults: A systematic review. American Journal of Occupational Therapy, 72(4), 1-8. https://doi.org/10.5014/ajot.2018.030627
Volkmer, K. (2022). Using the Model of Human Occupation as a framework for promoting occupational engagement among socially isolated older adults. SIS Quarterly Practice Connections, 7(2), 21–23. https://www.aota.org/publications/sis-quarterly/productive-aging-sis/pasis-5-22